Vergesslichkeit und Schlamperei als "Züchtungsmethode"?

Hintergrund -> Schlussfolgerung -> Konsequenz

Hintergrund - Dazu eine kleine Geschichte, die mir selbst passiert ist.

Einem Bohnenfreund schickte ich im Jahr 2004 Saatgut von 'Datscha 1 Sprenkelschecke', die ich selber von einer befreundeten Biologielehrerin 1996 aus dem russischen Kaliningrad-Distrikt erhalten hatte. Witterungsbedingt hatte er mit der Nachzucht keinen Erfolg, was ihn wegen der hübschen Kornmusterung betrübte, aber speziell auch wegen der Wuchsform dieser Sorte (sehr niedrige Stangenbohne, aber kletterfreudiger als eine Buschbohne).
Er fragte deshalb bei mir an, ob noch Saatgut für einen zweiten Versuch vorhanden wäre. Ich stellte fest, dass auch meine Vorräte nicht mehr üppig waren, aber wohl für eine Nachzucht noch reichen müssten. Soweit so gut.

Dieser Vorgang war mir noch im Gedächtnis, als mich kurz darauf die Biologielehrerin nach längerer Zeit wieder einmal besuchte, so dass ich sie fragte, ob sie mir noch etwas zu meinen Saatgutbeständen nachschießen könnte oder mir von dieser Sorte bei dem Datscha-Gärtner in Kaliningrad noch etwas Saatgut erbitten würde.

Zu meiner Überraschung erfuhr ich von ihr, dass ich selbst ihr Kerne dieser Sorte ein paar Jahre früher nach Kaliningrad mitgegeben hatte und das, was ich erhalten hatte, also keine russische Sorte, sondern Rücklauf einer meiner eigenen Sorten gewesen war. Ich staunte darüber nicht schlecht, hatte ich doch nicht den Schimmer einer Erinnerung, ihr jemals Saatgut nach Kaliningrad mitgegeben zu haben. Inzwischen weiß ich, es ist die Sorte 'Lilaspritzer', die ich selbst 1992 von einer Reise in die Slowakei als private Haussorte mitgebracht hatte. Beide Namen verweisen also auf eine identische Sorte.
(Übrigens: Dass die Farben in den beiden Abbildungen etwas anders kommen, hat mit Alter des Saatguts, Wuchsbedingungen, Reifegrad beim Eintüten u. den Scan-Bedingungen zu tun, aber nicht mit evtl. genetischen Unterschieden).

Schlussfolgerung

So also kann man - voilà – ohne jede züchterische Mühe aus einer Sorte zwei machen. Genetische Fachkenntnisse braucht es keine. Ein bisschen Schlampigkeit im Umgang mit den Sortennamen reicht als Züchtungsmethode vollauf. Auf das eigene Gedächtnis sollte man nicht bauen, wenn man diese Form von "linguistischer Sorteninflation" vermeiden möchte.

Wieviele solcher uneigentlicher Sortenduplikate ich in meinem Bestand habe, weiß ich nicht. Ich hoffe, nicht allzu viele. Ich habe aber schon öfters von Gartenfreunden schöne "neue" Sorten geschenkt bekommen, die ich selber vor Jahren an ganz andere Sortenerhalter abgegeben hatte. Ihre Namen waren kaum noch wiederzuerkennen, weil sie bei der Wanderung des Saatguts durch die Hände mehrerer Sortenerhalter die phantasievollsten "Lautverschiebungen" erfahren hatten. Wenn Übersetzungsversuche (englisch-deutsch; russisch-deutsch usw.) hinzukommen, muss man sich über nichts mehr wundern. Der in der Phantasie von Gartenfreunden wurzelnde Variantenreichtum von Namensgebungen steht dem darwinistischen Reichtum genetischer Sortenvarianten in nichts nach.

Konsequenz

Es spricht also schon einiges dafür, mit Sortenbezeichnungen ein bisschen "zwanghaft" umzugehen und bei einem einmal vorgegebenen Namen eisern zu bleiben. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass es auch Namensähnlichkeiten gibt (z.B. bei Tomaten: 'Bonnys Best' und 'Bonner Beste'), die definitiv auf genetisch unterschiedliche Sorten verweisen.


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         (Letzte Änderung: 20.1.2004)